An einem Wintermorgen
 

 An einem Wintermorgen, vor Sonnenaufgang

O flaumenleichte Zeit der dunkeln Frühe!

Welch neue Welt bewegtest du in mir?

Was ists, daß ich auf einmal nun in dir

Von sanfter Wollust meines Daseins glühe?

Einem Kristall gleicht meine Seele nun,

Den noch kein falscher Strahl des Lichts getroffen;

Zu fluten scheint mein Geist, er scheint zu ruhn,

Dem Eindruck naher Wunderkräfte offen,

Die aus dem klaren Gürtel blauer Luft

Zuletzt ein Zauberwort vor meine Sinne ruft.

Bei hellen Augen glaub ich doch zu schwanken;

Ich schließe sie, daß nicht der Traum entweiche.

Seh ich hinab in lichte Feenreiche?

Wer hat den bunten Schwarm von Bildern und Gedanken

Zur Pforte meines Herzens hergeladen,

Die glänzend sich in diesem Busen baden,

Goldfarbgen Fischlein gleich im Gartenteiche?

 

Eduard Mörike