Weihnachten in der Speisekammer
Unter der Türschwelle war ein kleines Loch. Dahinter saß die
Maus Kiek und wartete.
Sie wartete bis der Hausherr die Stiefel aus- und die Uhr
aufgezogen hatte; sie wartete, bis die Mutter ihr
Schlüsselkörbchen auf den Nachttisch gestellt und die
schlafenden Kinder noch einmal zugedeckt hatte; sie wartete auch
noch, als alles dunkel war und tiefe Stille im Hause herrschte.
Dann ging sie.
Bald wurde es in der Speisekammer lebendig. Kiek hatte die ganz
Mäusefamilie benachrichtigt. Da kam Miek die Mäusemutter mit den
fünf Kleinen, und Onkel Grisegrau und Tante Fellchen stellten
sich auch ein.
"Frauchen, hier ist etwas Weiches, Süßes," sagte Kiek leise vom
obersten Brett herunter zu Miek, "das ist etwas für die Kinder,"
und er teilte von den Mohnpielen aus. "Komm hierher Grisegrau,"
piepste Fellchen, und guckte hinter der Mehltonne vor, "hier
gibt's Gänsebraten, vorzüglich, sag ich dir, die reine
Hafermast; wie Nuss knuspert sich's." Grisegrau aber saß in der
neuen Kiste in der Ecke, knabberte am Pfefferkuchen und ließ
sich nicht stören. Die Mäusekinder balgten sich im Sandkasten
und kriegten Mohnpielen. "Papa," sagte das größte, "meine Zähne
sind schon scharf genug, ich möchte lieber knabbern, knabbern
hört sich so hübsch an." "Ja, ja, wir wollen auch lieber
knabbern," sagte alle Mäusekinder, "Mohnpielen sind uns zu
matschig," und bald hörte man sie am Gänsebraten und am
Pfefferkuchen. "Verderbt euch nicht den Magen," rief Fellchen,
die Angst hatte, selber nicht genug zu kriegen, "an einem
verdorbenen Magen kann man sterben." Die kleinen Mäuse sahen
ihre Tante erschrocken an; sterben wollte sie ganz und gar
nicht, das musste schrecklich sein. Vater Kiek beruhigte sie und
erzählte ihnen von Gottlieb und Lenchen, die drinnen in ihren
Betten lägen und ein hölzernes Pferdchen und eine Puppe im Arm
hätten; und dass in der großen Stube ein mächtiger Baum stände
mit Lichtern und buntem Flimmerstaat, und das es in der ganzen
Wohnung herrlich nach frischem Kuchen röche, der aber im
Glasschrank stände, und an den man nicht heran könnte. "Ach,"
sagte Fellchen, "erzähle nicht so viel, lass die Kinder lieber
essen." Die aber lachten die Tante mit dem dicken Bauch aus und
wollte noch viel mehr wissen, mehr als der gute Kiek selbst
wusste. Zuletzt bestanden sie darauf, auch einen Weihnachtsbaum
zu haben, und die zärtlichen Mäuseeltern liefen wirklich in die
Küche und zerrten einen Ast herbei, der von dem großen
Tannenbaum abgeschnitten war. Das gab einen Hauptspaß. die
Mäusekinder quiekten vor entzücken und fingen an, an dem grünen
Tannenholz zu knabbern; das schmeckte aber abscheulich nach
Terpentin, und sie ließen es sein und kletterten lieber in dem
Ast umher. Schließlich machten sie die ganze Speisekammer zu
ihrem Sielplatz. Sie huschten hierhin und dorthin, machten
Männchen, lugten neugierig über die Bretter in alle Winkel
hinein, und spielten Versteck hinter den Gemüsebüchsen und
Einmachtöpfen; was sollten sie auch mit dem dummen
Weihnachtsbaum, an dem es nichts zu essen gab! Als aber das
kleinste ins Pflaumenmus gefallen war und von Mama Miek und
Onkel Grisegrau abgeleckt werden musste, wurde ihnen das
Umhertollen untersagt, und sie mussten wieder artig am
Pfefferkuchen knabbern.
Am andern Morgen fand die alte Köchin kopfschüttelnd den Tannen
Ast in der Speisekammer und viele Krümel und noch etwas, was
nicht gerade in die Speisekammer gehört, ihr werdet euch schon
denken können was! Als Gottlieb und Lenchen in die Küche kamen,
um der alten Marie guten Morgen zu wünschen, zeigte sie ihnen
die Bescherung und meinte: "Die haben auch tüchtig Weihnachten
gefeiert." die Kinder aber tuschelten und lachten und holten
einen Blumentopf. Sie pflanzten den Ast hinein und bekränzten
ihn mit Zuckerwerk, aufgeknackten Nüssen, Honigkuchen und
Speckstückchen. die alte Marie brummte; da aber die Mutter
lachend zuguckte, musste sie schon klein beigeben. Sie stellte
alles andere sicher und ließ den kleinen Naschtieren nur ihren
Weihnachtsbaum.
die Kinder aber jubelten, als sie am zweiten Feiertage den
Mäusebaum geplündert vorfanden und hätten gar zu gern auch ein
Dankeschön von dem kleinen Volke gehört. "Den guten Speck
vergesse ich mein Lebtag nicht," sagte Fellchen, und Grisegrau
biss eine mitgebrachte Haselnuss entzwei; Kiek und Miek aber
waren besorgt um ihre Kleinen, die hatten zuviel Pfefferkuchen
gegessen, und ihr wisst, liebe Kinder, das tut nicht gut!
Paula Dehmel |