Der
silberne Tannenzapfen
Bergbaumärchen
An den Ufern der Ruhr steht ein
hoher Felsen. Vor alten Zeiten, so sagen die Leute, hat sich
hier öfter der Gübich sehen lassen. Tief unter dem Felsen
nämlich hatten die Zwerge ihre Wohnung. Und der Gübich war ihr
König. Er war von wildem Aussehen; ein langes Fell bedeckte
seinen Körper, der zwergenklein war. Aber er reckte sich zu
einem schrecklichen Riesen aus, wenn jemand den Felsen bestieg,
denn das konnte er nicht leiden. Sonst war er so böse nicht und
hat manchen Armen reich und manchen Kranken gesund gemacht. Seit
langer Zeit aber ist er schon nicht mehr auf der Oberwelt
gesehen worden.
Vor langen Jahren lebte im Tale
ein Bergmann, der hatte im Schrank seiner Stube einen
Tannenzapfen stehen aus reinem Silber, so groß und natürlich wie
ein gewachsener. Immer wieder wurde der Bergmann gefragt, wie er
denn zu solch einem Schatz gekommen sei. Lange hat er
geschwiegen, aber einmal hat er es doch erzählt:
Wie er, so war auch sein
Urgroßvater schon Bergmann gewesen. Eines Tages wurde dieser
krank und konnte viele Wochen lang sein Bett nicht verlassen.
Das wurde eine schlimme Zeit, denn damals erhielten die
Bergleute keinerlei Unterstützung, wenn sie nicht arbeiten
konnten. Und so blieb auch hier das Geld für ihn, seine Frau und
ihre sieben Kinder aus. Bald wussten die Eltern nicht mehr, wie
sie die hungrigen Münder der Kinder stopfen sollten, und sie
verloren schon fast den Mut...
Als die Frau wieder einmal am
Morgen darüber nachdenkt, wie sie das tägliche Brot
herbeischaffen solle, da fällt ihr ein, dass sie im Walde eine
Kiepe voll Tannenzapfen sammeln und vielleicht für einige
Pfennige auf dem Markt verkaufen könne. Und so macht sie sich
auf den Weg. Während sie nun unterwegs ist und über ihr
Schicksal nachdenkt, da kommen ihr die Tränen in die Augen; sie
setzt sich am Wege nieder und hält weinend die Hände vors
Gesicht. Nach einer Weile aber erkennt sie, dass alles Weinen
nicht hilft, dass sie aufstehen muss, wenn sie nicht betteln
gehen will. Und als sie sich gerade erheben will, da steht vor
ihr ein Männlein mit eisgrauem Barte, das ihr schon länger still
zugeschaut hat. Das Männlein fragt, was ihr fehle. Sie
entgegnet, man könne ihr doch nicht helfen. Er aber schaut sie
weiter freundlich an und erklärt ihr, dass sie kaum wissen
könne, was ihm zuzutrauen sei, und sie solle ihm ruhig den Grund
ihres Weinens erklären. Da fasst die Frau Mut und sagt ihm alles
heraus: dass ihr Mann nun schon lange krank sei, dass sie sieben
kleine Kinder habe und keinen Bissen Brot im Hause, dass sie
schon alles versetzt und verkauft habe und sie alle auch bald
aus ihrer Wohnung ausziehen müssten; deshalb wolle sie nun
Tannenzapfen suchen und von dem Erlös Brot kaufen. Das Männlein
mit dem grauen Bart tröstet sie: sie solle nur nicht verzagen,
es würde noch alles gut werden, und wenn sie besonders schöne
Tannenzapfen haben wolle, dann solle sie nur zu dem hohen Felsen
gehen und sich nicht fürchten. Darauf entbietet er ihr einen
guten Morgen und verschwindet im Gebüsch am Wege. Die Frau aber
geht zum Felsen.
Dort setzt sie nun ihre Kiepe auf
den Boden und sucht Tannenzapfen. Plötzlich erhebt sich von
allen Seiten ein Rauschen und Prasseln: von links, von rechts,
aus den Bäumen und aus den Büschen fallen Tannenzapfen heraus,
ihr vor die Füße. Da denkt sie, es hätten sich Kinder versteckt
und wollten sie ärgern. Schnell hebt sie ihre Kiepe auf und
flüchtet, denn sie will sich doch nicht die Augen auswerfen
lassen. Doch ihre Furcht ist unbegründet: während sie dahineilt,
fallen die Tannenzapfen in ihre Kiepe. Aber wer so betrübt ist,
der achtet nicht auf alles. Und so gelangt sie an eine andere
Stelle, wo sie noch einige Tannenzapfen findet, die sie auf die
schon fast gefüllte Kiepe legt. Sodann macht sie sich auf den
Heimweg. Aber die Kiepe wird immer schwerer und schwerer, und
sie muss sich oft ausruhen, ehe sie heimkommt; das verwundert
sie zwar, aber sie denkt immer noch nicht an etwas Besonderes.
Zu Hause angekommen, geht sie in
den Stall und will die Kiepe ausleeren, um noch mehr zu sammeln,
da fallen lauter silberne Tannenzapfen heraus, dass sie ganz
starr wird vor Überraschung und Staunen. Aber die Tannenzapfen
will sie nicht behalten, denn sie glaubt, dass dies alles nicht
mit rechten Dingen zugegangen sei, und wer weiß, denkt sie, ob
das Männlein nicht der Satan selbst gewesen ist. Also geht sie
zu ihrem Mann in die Stube und erzählt ihm von dem Männchen,
beschreibt ihr Abenteuer und fragt, ob das wohl mit rechten
Dingen zugegangen sei und ob sie die silbernen Tannenzapfen
behalten dürfe. Da geht ein glückstrahlendes Lächeln über das
Gesicht ihres Mannes, und er erklärt ihr, dass sie nun reich
seien und dass der kleine Kerl der Gübich gewesen sei, der schon
manch anderen armen Leuten geholfen habe.
Am anderen Morgen lässt es der
Frau keine Ruhe: sie macht sich auf den Weg in den Wald in der
Hoffnung, noch einmal den Gübich zu treffen. Sie will ihm für
seine Hilfe danken. Und richtig, als sie wieder an die Stelle
kommt, ist das Männlein mit dem eisgrauen Barte wieder da und
fragt, ob sie gestern nicht schöne Tannenzapfen gefunden habe.
Und als sie nun anfängt ihm zu danken, da lacht der Gübich nur
freundlich und gibt ihr ein Büschel Kräuter.
"Hiervon koche deinem Mann einen
Trank, und bald wird er wieder gesund werden!" Und mit diesen
Worten geht er wieder ins Gebüsch.
Die Frau tat, wie ihr aufgetragen
war, und noch am selben Tage wurde ihr Mann gesund. Beide haben
noch lange glücklich miteinander gelebt. Das Silber haben sie in
der Münze einschmelzen lassen und verkauft. Nur einen von den
Tannenzapfen haben sie zum ewigen Andenken aufgehoben. Das ist
der, der im Schrank des Bergmanns stand.
Dieses Märchen wurde Lara
Schimmer von Dieter [
chax@wtal.de ] zur Verfügung gestellt. |