Der aller erste Weihnachtsbaum
Der Weihnachtsmann ging durch den Wald. Er war ärgerlich. Sein
weißer Spitz, der sonst immer lustig bellend vor ihm auf lief,
merkte das und schlich hinter seinem Herrn mit eingezogener Rute
her.
Er hatte nämlich nicht mehr die rechte Freude an seiner
Tätigkeit. Es war alle Jahre dasselbe. Es war kein Schwung in
der Sache. Spielzeug und Esswaren, das war auf die Dauer nichts.
Die Kinder freuten sich wohl darüber, aber quieken sollten sie
und jubeln und singen, so wollte er es, das taten sie aber nur
selten. Den ganzen Dezembermonat hatte der Weihnachtsmann schon
darüber nachgegrübelt, was er wohl Neues erfinden könne, um
einmal wieder eine rechte Weihnachtsfreude in die Kinderwelt zu
bringen, eine Weihnachtsfreude, an der auch die Großen
teilnehmen würden. Kostbarkeiten durften es auch nicht sein,
denn er hatten so und soviel auszugeben und mehr nicht.
So stapfte er denn auch durch den verschneiten Wald, bis er auf
dem Kreuzwege war, dort wollte er das Christkindchen treffen.
Mit dem beriet er sich nämlich immer über die Verteilung der
Gaben.
Schon von weitem sah er, dass das Christkindchen da war, denn
ein heller Schein war dort. Das Christkindchen hatte ein langes,
weißes Pelzkleidchen an und lachte über das ganze Gesicht. Denn
um es herum lagen große Bündel Kleeheu und Bohnenstiegen und
Espen - und Weidenzweige, und daran taten sich die hungrigen
Hirsche und Rehe und Hasen gütlich. Sogar für die Sauen gab es
etwas, Kastanien, Eicheln und Rüben.
Der Weihnachtsmann nahm seinen Wolkenschieber ab und bot dem
Christkindchen die Tageszeit. "Na, Alterchen, wie geht`s?"
fragte das Christkind, "hast wohl schlechte Laune?" Damit hakte
es den Alten unter und ging mit ihm. Hinter ihnen trabte der
kleine Spitz, aber er sah gar nicht mehr betrübt aus und hielt
seinen Schwanz kühn in die Luft.
"Ja," sagte der Weihnachtsmann, "die ganze Sache macht mir so
recht keinen Spaß mehr. Liegt es am Alter oder an sonst was, ich
weiß nicht, ich hab` kein Fiduz mehr dazu. Das mit den
Pfefferkuchen und den Äpfeln und Nüssen, das ist nichts mehr.
Das essen sie auf, und dann ist das Fest vorbei. Man müsste
etwas Neues erfinden, etwas, das nicht zum Essen und nicht zum
Spielen ist, aber wobei Alt und Jung singt und lacht und
fröhlich wird."
Das Christkindchen nickte und machte ein nachdenkliches Gesicht;
dann sagte es: "Da hast du recht, Alter, mir ist das auch schon
aufgefallen. Ich habe daran auch schon gedacht, aber das ist
nicht so leicht."
"Das ist es ja gerade," knurrte der Weihnachtsmann, "ich bin zu
alt und zu dumm dazu. Ich habe schon richtiges Kopfweh von dem
alten Nachdenken, und es fällt mir doch nichts Vernünftiges ein.
Wenn es so weiter geht, schläft allmählich die ganze Sache ein,
und es wird ein Fest wie alle anderen, vor dem die Menschen dann
weiter nichts haben, als faulenzen, Essen und Trinken."
Nachdenklich gingen beide durch den weißen Winterwald, der
Weihnachtsmann mit brummigem, das Christkindchen mit
nachdenklichem Gesichte. Es war so still im Walde, kein Zweig
rührte sich, nur, wenn die Eule sich auf einen Ast setzte, fiel
ein Stück Schneebehang mit halblautem Ton herab. So kamen die
beiden, den Spitz hinter sich, aus dem hohen Holze auf einen
alten Kahlschlag, auf dem große und kleine Tannen standen. Das
sah nun wunderschön aus. Der Mond schien hell und klar, alle
Sterne leuchteten, der Schnee sah aus wie Silber, und die Tannen
standen darin, schwarz und weiß, dass es eine Pracht war. Eine
fünf Fuß hohe Tanne, die allein im Vordergrunde stand, sah
besonders reizend aus. Sie war regelmäßig gewachsen, hatte auf
jedem Zweig einen Schneestreifen, an den Zweigspitzen kleine
Eiszapfen, und glitzerte und flimmerte nur so im Mondenschein.
Das Christkindchen ließ den Arm des Weihnachtsmanns los, stieß
den Alten an, zeigte auf die Tanne und sagte: "Ist das nicht
wunderhübsch?"
"JA," sagte der Alte, "aber was hilft mir das?" "Gib ein paar
Äpfel her," sagte das Christkindchen, "ich habe einen Gedanken."
Der Weihnachtsmann machte ein dummes Gesicht, denn er konnte es
sich nicht recht vorstellen, dass das Christkind bei der Kälte
Appetit auf die eiskalten Äpfel hatte. Er hatte zwar noch einen
guten alten Schnaps in seinem Dachsholster, aber den mochte er
dem Christkindchen nicht anbieten.
Er machte sein Tragband ab, stellte seine riesige Kiepe in den
Schnee, kramte darin herum und langte ein paar recht schöne
Äpfel heraus. Dann fasste er in die Tasche, holte sein Messer
heraus, wetzte es an einem Buchsstamm und reichte es dem
Christkindchen. "Sieh, wie schlau du bist", sagte das
Christkindchen. "Nun schneid/` mal etwas Bindfaden in
zweifingerlange Stücke, und mach` mir kleine spitze Pflöckchen."
Dem Alten kam das alles etwas ulkig vor, aber er sagte nichts
und tat, was das Christkind ihm sagte. Als er die Bindfadenenden
und die Pflöckchen fertig hatte, nahm das Christkind einen
Apfel, steckte ein Pflöckchen hinein, band den Faden daran und
hängte den an einen Ast.
"So," sagte es dann, "nun müssen auch an die anderen welche und
dabei kannst du helfen, aber vorsichtig, dass kein Schnee
abfällt!"
Der Alte half, obgleich er nicht wusste, warum. Aber es machte
ihm schließlich Spaß, und als die ganze kleine Tanne voll von
rotbäckigen Äpfeln hing, da trat er fünf Schritte zurück, lachte
und sagte: "Kiek, wie niedlich das aussieht! Aber was hat das
alles für`n Zweck?"
"Braucht denn alles gleich einen Zweck zu haben?" lachte das
Christkind. "Pass auf, das wird noch schöner. Nun gib mal Nüsse
her!"
Der alte krabbelte aus seiner Kiepe Walnüsse heraus und gab sie
dem Christkindchen. Das steckte in jedes ein Hölzchen, machte
einen Faden daran, rieb immer eine Nuss an der goldenen
Oberseite seiner Flügel, und dann war die Nuss golden, und die
nächste an der silbernen Unterseite seiner Flügel, und dann
hatte es eine silberne Nuss, und hing die zwischen die Äpfel.
"Was sagst nun, Alterchen?" fragte es dann, "ist das nicht
allerliebst?"
"Ja," sagte der, "aber ich weiß immer noch nicht - "Kommt
schon!" lachte das Christkindchen. "Hast du Lichter?"
"Lichter nicht," meinte der Weihnachtsmann, "aber `n
Wachsstock!"
"Das ist fein", sagte das Christkind, nahm den Wachsstock,
zerschnitt ihn und drehte erst ein Stück um den Mitteltrieb des
Bäumchens und die anderen Stücke um die Zweigenden, bog sie
hübsch gerade und sagte dann: "Feuerzeug hast du doch?"
"Gewiss", sagte der Alte, holte Stein, Stahl und Schwammdose
heraus, pinkte Feuer aus dem Stein, ließ den Zunder in der
Schwammdose zum Glimmen kommen und steckte daran ein paar
Schwefelspäne an. Die gab er dem Christkindchen. Das nahm einen
hellbrennenden Schwefelspan und steckte damit erst das oberste
Licht an, dann das nächste davon rechts, dann das
gegenüberliegende, und rund um das Bäumchen gehend, brachte es
so ein Licht nach dem andern zum Brennen.
Da stand nun das Bäumchen im Schnee; aus seinen halbverschneiten
dunklen Gezweig sahen die roten Backen der Äpfel, die Gold - und
Silbernüsse blitzten und funkelten, und die gelben Wachskerzen
brannten feierlich. Das Christkindchen lachte über das ganze
rosige Gesicht und patschte in die Hände, der alte
Weihnachtsmann sah gar nicht mehr so brummig aus, und der kleine
weiße Spitz sprang hin und her und bellte.
Als die Lichter ein wenig heruntergebrannt waren, wehte das
Christkindchen mit seinen goldsilbernen Flügeln, und da gingen
die Lichter aus. Es sagte dem Weihnachtsmann, er solle das
Bäumchen vorsichtig absägen. Das tat der, und dann gingen beiden
den Berg hinab und nahmen das bunte Bäumchen mit.
Als sie in den Ort kamen, schlief schon alles. Beim kleinsten
Hause machten die beiden halt. Das Christkindchen machte leise
die Tür auf und trat ein; der Weihnachtsmann ging hinterher. In
der Stube stand ein dreibeiniger Schemel mit einer durchlochten
Platte, den stellten sie auf den Tisch und steckten den Baum
hinein. Der Weihnachtsmann legte dann noch allerlei schöne
Dinge, Spielzeug, Kuchen, Äpfel und Nüsse unter den Baum, und
dann verließen beide das Haus ebenso leise, wie sie es betreten
hatten.
Als der Mann, dem das Häuschen gehörte, am anderen Morgen
erwachte und den bunten Baum sah, da staunte er und wusste
nicht, was er dazu sagen sollte. Als er aber an den Türpfosten,
den des Christkinds Flügel gestreift hatte, Gold - und
Silberflimmer hängen sah, da wusste er Bescheid. Er steckte die
Lichter an dem Bäumchen an und weckte Frau und Kinder.
Das war eine Freude in dem kleinen Hause, wie an keinem
Weihnachtstage. Keines von den Kindern sah nach dem Spielzeug
und nach dem Kuchen und den Äpfeln, sie sahen nur nach dem
Lichterbaum. Sie fassten sich an den Händen, tanzten um den Baum
und sangen alle Weihnachtslieder, die sie wussten, und selbst
das Kleinste, was noch auf dem Arme getragen wurde, krähte, was
er krähen konnte.
Vor dem Fenster aber standen das Christkindchen und der
Weihnachtsmann und sahen lächelnd zu.
Als es helllichter Tag geworden war, da kamen die Freunde und
Verwandten des Bergmanns, sahen sich das Bäumchen an, freuten
sich darüber und gingen gleich in den Wald, um sich für ihre
Kinder auch ein Weihnachtsbäumchen zu holen. Die anderen Leute,
die das sahen, machten es nach, jeder holte sich einen
Tannenbaum und putzte ihn an, der eine so, der andere so, aber
Lichter, Äpfel und Nüsse hingen sie alle daran.
Als es dann Abend wurde, brannte im ganzen Dorfe Haus bei Haus
ein Weihnachtsbaum, überall hörte man Weihnachtslieder und das
Jubeln und Lachen der Kinder.
Von da aus ist der Weihnachtsmann über ganz Deutschland
gewandert und von da über die ganze Erde. Weil aber der erste
Weihnachtsbaum am Morgen brannte, so wird in manchen Gegenden
den Kindern morgens beschert.
Hermann Löns |