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Das Baby, dessen dunkle Haut in der Sonne wie Seide schimmerte, lachte mich an, als ich es auf dem Arm durch den Garten trug. Es zappelte mit den Beinchen, die winzigen Hände waren pausenlos in Bewegung. Manchmal, wenn ich mit ihm sprach, ihm die Bäume, die Palmen und die vielen bunten Blüten zeigte, wie ich es, seit wir aus Miami und New York zurück waren, jeden Tag getan hatte, war es ganz ruhig, so, als würde es mir aufmerksam zuhören.

Nicht der leiseste Windzug wehte durch den Garten. Die Luft war drückend und schwül. Nach einer Weile ging ich ins Haus zurück, um es zu füttern. Ich liebte diesen Moment, wenn es in meinem Arm lag und hungrig an seinem Fläschchen nuckelte, bis es friedlich  einschlief.

Judith, die im Nebenraum Dons Hemden gebügelt hatte, kam ins Zimmer und räumte die Hemden in den Schrank. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn, bevor sie sich über das Baby beugte.

„Sie ist eingeschlafen, “ flüsterte ich ihr zu, „hat heute ziemlich viel getrunken. Es ist aber auch ungewöhnlich schwül heute. Findest du nicht? Und es geht kein Wind. Ganz eigenartig.“

Judith öffnete den obersten Knopf ihres weißen Kittel und fächerte sich mit der Hand Luft zu. „Ja, M’am, da draußen braut sich glaube ich ein Hurrikan zusammen.“

Ich erschrak. „Ein Hurrikan? Um Himmels Willen, wie kommst du denn darauf?“

„Der Wind, es geht kein Wind. Die Bäumen stehen ganz still, nichts bewegt sich.“

Ich warf einen raschen Blick in den Garten. Tatsächlich, es bewegte sich nichts. Die Natur schien wie erstarrt. Kein Blatt, kein Palmenwedel regte sich. Es war gespenstisch still. Selbst die Vögel zwitscherten nicht mehr. „Du meine Güte, mal‘ den Teufel nicht an die Wand.“

Judith schloss den Schrank und nahm das schlafende Baby aus dem Körbchen. „Es ist August. Zeit für Hurrikan.“

Ich stand auf und begleitete sie bis zur Tür. „Ach was, wir bekommen sicher nur Regen. Der käme gerade recht, der Garten ist sehr trocken,“ sagte ich leise, um das Baby nicht zu wecken. „Oder glaubst du wirklich an einen Hurrikan?“

Sie senkte verschämt den Kopf, so als täte es ihr leid, mir Angst eingejagt zu haben. „Ja, M’am.“


Nachdem sie fort war, legte ich mich in die Hängematte, verschränkte die Arme unter dem Kopf  und sah den beiden Hunden zu, wie sich gegenseitig laut kläffend über den Rasen scheuchten. Vielleicht waren die Einheimischen tatsächlich in der Lage, das Wetter vorherzusagen. Sie kannten die Natur, wussten  welche Anzeichen auf einen Hurrikan hinwiesen. Der Himmel war klar und ruhig. Nichts deutete auf einen Sturm hin.

Als ich den Lieferwagen in der Einfahrt hörte, schwang ich mich auf und lief Don, gefolgt von den Hunden, entgegen. „Judith meint wir bekommen einen Hurrikan.“

Er streckte beide Arme nach mir aus. „He, was ist? Bekomme ich keinen Kuss?“

Uns steht vielleicht ein Hurrikan ins Haus und er will einen Kuss, dachte ich.

„Das ist ja eine nette Begrüßung,“ tat er beleidigt, nachdem ich ihm eilig einen flüchtigen Kuss auf die Wange gedrückt hatte. „Ich sollte dich wohl mal wieder nach Trinidad schicken.“

„Don, bekommen wir einen Hurrikan?“

„Gut möglich,“ sagte er mit einem Blick in den Himmel. „Kein Wind. Ich gehe jetzt erst mal duschen.“

Na wunderbar, wir bekommen einen Hurrikan und er geht erst einmal duschen, dachte ich und folgte ihm ins Haus. Der Fernseher. Vielleicht bringen sie in den Nachrichten etwas darüber. Ich  schaltete das Gerät ein und schaute gebannt auf den Bildschirm. „...befindet sich Hurrikan David über dem Atlantik. Seine Windgeschwindigkeit beträgt zweihundertachtzig Stundenkilometer,“ las der Sprecher von einem Blatt Papier in seiner Hand ab. „....Hurrikan Warnung besteht für die Inseln Barbados, St. Lucia, St. Vincent, Greneda und Martinique.“ Mit angehaltenem Atem hing ich an seinen Lippen. „....werden wir Sie stündlich auf dem Laufenden halten.“

„Don, die Nachrichten,“ rief ich, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen. „Hurrikan Warnung. Wir bekommen wirklich einen Hurrikan.“ Aufgeregt verfolgte ich den Stab, mit dem der Sprecher auf einen riesigen Wolkenwirbel zeigte, der sich direkt auf unsere Insel zu bewegte.

„Halb so wild.“ Don stand in ein Handtuch gewickelt im Türrahmen. „Wir werden morgen Vorräte besorgen, ein paar Bretter und Batterien.“

„Das hört sich ja gefährlich an. Wozu brauchen wir Bretter?“

„Um die Fenster von außen zu vernageln. Funktioniert das Transistorradio noch? Das werden wir brauchen.“

Du meine Güte, ein Hurrikan. Ich trat auf die Terrasse. Sternenklarer Himmel, keine Wolke. Wie kann das sein?“

Er kam zu mir, blieb hinter mir stehen und schlang seine Arme um meine Taille. „Der wird morgen über uns hinweg fegen. Heute Nacht kannst du ganz beruhigt schlafen.“

Am Tag darauf half Judith mir die Vorräte in den Schränken zu verstauen. Wir hatten uns kartonweise mit Konserven, Getränken, Reis und Kerzen eingedeckt. Batterien waren in einigen Supermärkten bereits ausverkauft. Don musste lange umherfahren, bis er schließlich noch welche auftreiben konnte. Seit dem frühen Morgen waren die Menschen in die Supermärkte geströmt, hatten Berge von Lebensmittel und Bretter in ihre Autos und Lieferwagen geladen. Eine unruhige Hektik war auf der Insel ausgebrochen. Einige, so erzählte Don, planten sogar eine Hurrikan-Party.

Mittags, als der Himmel eine seltsam gelbe Farbe annahm, drückte ich Judith das Baby in den Arm. „Du gehst jetzt nach Hause. Aber du musst mir versprechen, dass du mit deiner Familie eine Kirche aufsuchst. Da seid ihr sicher. Und komm‘ erst wieder, wenn alles vorbei ist.“

Sie drückte ihr Baby an sich. „Ja, M’am.“

„Und pass‘ gut auf das Baby auf.“

Sie drehte sich noch einmal um, nickte mir kurz zu, dann ging sie schnellen Schrittes durch das Feld den Hügel hinauf. Besorgt sah ich nach. Hoffentlich geht alles gut. Der Himmel über dem Meer hatte sich bereits in eine bleierne Finsternis verwandelt, vor der sich die Gipfel der Bäume und Kokospalmen schwarz und reglos erhoben. Selbst die Kletterpflanzen an den Ästen hingen ruhig. Nicht ein Blatt rührte sich. Eine leblose, beunruhigende Stille hatte sich über den Garten gelegt.

„Wir müssen uns beeilen. Es wird bald los gehen,“ rief Don vor dem Haus. Ich eilte zu ihm und half ihm die schweren Pflanzenkübel ins Zimmer zu schleppen. Wir holten die Terrassenmöbel rein und banden die beiden Autos mit dicken Seilen an Bäumen fest. Der Himmel über dem Meer war bereits zur Hälfte mit schweren Regenwolken verdunkelt. Unaufhaltsam rückte der Sturm näher. Aus dem Radio erfuhren wir, dass er inzwischen eine Geschwindigkeit von zweihundertzwanzig Stundenkilometer erreicht hatte. Bevor die Telefonleitungen zusammenbrechen konnten, rief ich Lyn und Beverly an, wollte mich noch schnell erkundigen, ob bei ihnen alles in Ordnung war. Wir tauschten ein paar Belanglosigkeiten aus und machten uns gegenseitig Mut.

„Wo sind die Batterien?“ fuhr Don dazwischen. Er war ins Wohnzimmer gekommen und hielt die Taschenlampe in der Hand. Er wirkte nervös.

Ich verabschiedete mich von Beverly, legte den Hörer auf und wandte mich Don zu. „Vielleicht in der Küche,“ gab ich ärgerlich zurück, „warum bist du denn so aufgebracht?“


„Tut mir leid, aber der wird schlimmer, als ich dachte. Das ist ein Monster. Wir müssen die Türen und Fenster von innen verriegeln. Sind die Hunde drin.“

„Ja, sie sind im Gästezimmer.“ Ängstlich kauerte ich mich aufs Sofa. Seit ein paar Minuten nahm ich ein seltsames Brummen war, das sich immer mehr verstärkte und ganz plötzlich zu einem donnernden Dröhnen anschwoll, so, als würde eine riesengroße Herde wilder Büffel auf das Haus zurasen.

„Es ist soweit, “ schrie Don aus der Küche. Und dann, urplötzlich, von einem Moment zum anderen, brach der Sturm los. Knallhart, mit ohrenbetäubendem Lärm schlug er in die Erstarrung des Abends ein. Er rammte das Haus mit einer ungeheuerlichen Wucht, dass ich fürchtete, er würde es zersprengen. Wild peitschte er den Regen aufs Dach, gegen die Türen und Fenster. Es wurde schlagartig stockdunkel. In panischer Angst klammerte ich mich an die Lehne des Sofas und schrie nach Don.

Er kam aus der Küche, trat ans Fenster und sah durch einen schmalen Spalt hinaus. „Mist,“ schrie er, „wir haben den Tisch vergessen.“

Ich ging zu ihm und hielt seinen Arm fest. Gnadenlos tobte der Sturm um das Haus. Das Dach ächzte unter den Wassermassen. Es war die Hölle. „Du wirst doch jetzt nicht da raus gehen wollen?“

Er riss sich los und ging zur Tür. „Ich kriege die Tür ja nicht einmal auf,“ brüllte er, um das klagende Heulen des Sturms zu übertönen. Vorsichtig wagte ich einen Blick durch den Spalt. Mit furchterregender Gewalt schmetterte der Regen gegen den Bretterverschlag. Der Sturm wütete erbarmungslos. Er zerriss den Garten in tausend Fetzen, beugte die hohen Stämme der Bäume und Kokospalmen wie Bambusstäbe nieder, peitsche sie wild hin und her. Aststücke, Blätter und Kletterpflanzen wirbelten durch die aufgewühlte Luft. Der Terrassentisch wurde gerade in hohem Bogen über die Klippen geschleudert und verschwand in der Dunkelheit. Erste Blitze zuckten am pechschwarzen Horizont. Im selben Augenblick schoss eine Wasserflut durch die Lamellentüren ins Wohnzimmer.

„Schnell,“ schrie Don, wir müssen die Möbel hoch stellen.“ Dann ging das Licht aus. „Die Taschenlampe. Schalte die Taschenlampe ein,“ brüllte er in das herannahende, lautstarke Donnergrollen.  Im einsamen Lichtfleck der Taschenlampe schob Don die Möbel in die Mitte des Raumes, der bereits einige Zentimeter unter Wasser stand. Erbarmungslos tobte der  Monstersturm um das Haus, ließ die Bretterverschläge an den Fenster heftig klappern und das ganze Haus erzittern.

„Ich sehe mal nach den Hunden,“ rief ich ihm zu. Doch meine Worte gingen im wütenden Heulen des Unwetters unter. Die beiden Hunde kauerte zitternd vor Angst eng aneinander geschmiegt in der Ecke. Sie schauten mich verschreckt an, als ich sie streichelte und beruhigend auf sie einredete. Unerbittlich zerrten wütende Sturmböen an den Fenstern und Türen. 

Von der Decke tropfte an einigen Stellen Wasser durch. Laut krachend entlud sich der Donner über dem Haus, so dass ich mir unwillkürlich die Ohren zuhielt und den Kopf einzog. Hoffentlich fliegt das Dach nicht davon, dachte ich während ich mich in der Finsternis über den Flur in die Küche tastete. Unter meinen Füßen fühlte ich das leichte Beben der Dielen. Das ganze Haus schien vor Erschütterung leicht zu schwanken.

„Was ist los?“ Don stand dicht an der Tür, er war bis auf die Haut durchnässt.

„Es regnet rein,“ rief ich ihm zu. „Wir brauchen Behälter, um das Wasser aufzufangen. Er folgte mir in die Küche. Eilig suchten wir verschiedene Behälter zusammen. „Wenn das Auge kommt, sollten wir schlafen gehen, dann bleibt uns der Rest erspart,“ schrie er, obwohl ich direkt neben ihm stand.

„Schlafen? Bei dem Krach? Welches Auge?“ fragte ich. Wieder erfasste eine rasende Böe das Haus und ließ es laut krachend erbeben. 

„Na, das Hurrikanauge. Wenn es über die Insel zieht, tritt erst einmal absolute Windstille ein. Dann ist der Spuk erst einmal vorbei.“ Don lehnte sich gegen die Wand. Das Monster tobte nun schon seit mehr als drei Stunden. Mir kam es wie eine Ewigkeit vor. Don sah müde aus. An der Decke lösten sich immer mehr Wasserperlen, tropften platschend in die Behälter.

„Erst einmal vorbei? Und dann?“

„Geht das Spiel von vorne los. Dann kommt das Monster aus der anderen Richtung.“

„Na, wunderbar. Wie sollen wir denn bei diesem Lärm schlafen können? Es hört sich an, als würde ein Jumbo Jet nach dem anderen auf das Haus zurasen.“

„Jedenfalls sollten wir uns hinlegen. Es ist spät. Oder willst du unbedingt zwei Stunden warten, bis es wieder losgeht?“

Allmählich ließ der Sturm nach, nur das beständige Trommeln des Regens auf dem Dach war noch zu hören. Und plötzlich, nach einem vierstündigen Albtraum kehrte wieder Ruhe ein. Der Sturm hatte eine Atempause eingelegt, um Kraft für seinen nächsten Angriff zu sammeln. Die Luft im Haus war feucht und schwül. Ich schmiegte mich an Don, seine Jeans und sein T-Shirt waren triefnass. „Okay, gehen wir schlafen. Ich hatte solche Angst,“ gestand ich endlich und bemerkte erst jetzt, dass ich am ganzen Körper zitterte.

„Alles halb so wild. Du wirst sehen, wenn das Monster in zwei Stunden wiederkommt, werden wir tief schlafen.“

„Warum kann es nicht bleiben, wo es ist,“ seufzte ich. „Ich habe noch nie ein solches Unwetter erlebt.“

Jetzt, wo der Sturm sich verzogen hatten, war die Stille im Garten voller seltsamer Geräusche. Vom Dach der Terrasse plätscherte das Wasser in Pfützen, die sich überall im Garten gebildet hatten. Letzte Luftzüge raschelten durch die geschwächten Bäume und Kokospalmen. Beständig fielen letzte Regentropfen auf den mit Blüten und Blätter übersäten Rasen. Überall lagen abgebrochene Ästen und Palmwedel, losgerissene Kletterpflanzen und zerschmetterte Kokosnüsse herum. In der Ferne war das letzte Donnergrollen des abziehenden Gewitters zu hören. Das schwere Unwetter hatte seine Spuren hinterlassen und es war noch nicht vorbei. In zwei Stunden würde das Monster zurück- kommen, uns wieder den Schlaf rauben und in Atem halten. Es würde mir wieder Angst und Schrecken einjagen, den Garten und die Insel weiter verwüsten. Vier weitere lange Stunden würde dieses Monster rücksichtslos über uns herfallen und keine Gnade kennen.

 

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